Andy vom D.O.T. und Mark von ProTattoo waren gestern in einer Experten-Runde aus Juristen, plastischen Chirurgen, Sozialverbänden und vielen anderen zu einer zweistündigen Anhörung vom Bundestag. Die LINKE möchte — in erster Linie zugunsten der Frauen, die minderwertige Brust-Implantate auswechseln lassen müssen — gerne den Selbstbeteiligungs-Paragrafen kippen. Da Ende der 1990er Jahre gesetzlich auch Tattoos und Piercings mit Selbst-Zahlungen für medizinisch nicht notwendige Körperveränderungen verwoben wurden, war unsere Meinung gefragt.

Die Stimmen der insgesamt etwa zwanzig Experten reichten während der wirklich interessanten Anhörung von rein lobbyistischer Ablehnung jeder Kostenübernahme (“finanzielle Hilfen finden wir gut, zahlen dafür aber natürlich keinen Cent”) bis zu überraschend angenehmen, juristischen Mitteilungen (“das Leben ist bunt, die Menschen sind verschieden, man kann nicht alle möglichen Kosten aus der Solidargemeinsachft ausgliedern”).

Der EAPP konnte niemanden entsenden, so dass wir als Vertretung und dank der unkomplizierten Mitwirkung der Polizei im Bundestag eine fachkundige Berlinerin mit Implants, Piercings und Tattoos auf den kurzfristig freigewordenen Platz brachten. Der Altersdurchschnitt wurde dadurch deutlich gesenkt, die Implant-Quote hingegen klar erhöht.

Andy und ich machten in kurzen Stellungnahmen deutlich, dass kassenpflichtige Nachbehandlungen von Tattoos und Piercings fast nie entstehen bzw. dass sie wenn überhaupt fast immer durch ausdrücklich unerwünschtes Schwimmen, Saunieren, Sonnenbaden oder mangelnde Hygiene bei der Heilung — ergo: durch vermeidbare Dummheit — entstehen, so dass unerklärlich ist, warum Tattoos und Piercings in § 52, Abs. 2 SGB V überhaupt erwähnt werden.

(Vermutlich) ungewollte Unterstützung unserer Hinweise kam vom Vertreter der Krankenkassen, der einräumte, dass die durch Selbstverschuldung eingeforderten Beträge so gering sind, dass sie kaum erhebbar sind.

Erstaunlich war ein Beitrag des Präsidenten der Vereinigung plastischer Chirurgen, der emotional darauf hinwies, dass plastische Eingriffe zur Angleichung des Körpers an ein gewünschtes Bild längst gesellschaftlich akzeptiert sind. Im Sinne beispielsweise der Dokumentation “Modify” sehe ich hier angenehme, neue Gesprächsmöglichkeiten auf uns zukommen.

Insgesamt war ich sowohl über das breite Stimmungsbild als auch die Ernsthaftigkeit der RednerInnen und ZuhörerInnen erfreut und habe gelernt, dass Verbands-Arbeit unerwartet zielführend ist und PolitikerInnen sehr wohl die Menschen vertreten, von denen sie gewählt wurden.

Nach der Anhörung haben wir Berliner Tätowierer und Piercer bei einer der örtlich so beliebten Fassbrausen (gibt’s wirklich!) zusammen gebracht und überlegt, wie wir auch in Zukunft gemeinsam unsere bunten, durchlöcherten und nicht immer völlig gleichen Interessen vertreten können und werden.

Ein dickes, fettes Dankeschön an alle — ausdrücklich auch die PolitikerInnen — die diese spannende und interessante Anhörung angeschoben haben. So geht das!

Berlin, 26. April 2012

Mark Benecke